demenz-spektrum.de

 
Home     Themen   Impressum                               
Google
 
Web www.demenz-spektrum.de

Interview

mit Dr. med. Martin Haupt, Oberarzt an der Psychiatrischen Klinik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Abt. Gerontopsychiatrie

Alzheimer-Kranken aus der Depression helfen

Je nach Statistik sollen bis zu 90 Prozent aller Alzheimer-Patienten mehr oder weniger intensiv unter depressiven Verstimmungen leiden. Im Mittel finden sich bei etwa 40 Prozent von ihnen depressive Symptome. Depressive Störungen sind nicht nur wichtige Differentialdiagnosen der Demenz, im Gegensatz zur letztgenannten sind sie meist besser zu beeinflussen. Vor diesem Hintergrund nutzte Demenz-Spektrum (DS) die Gelegenheit, einen anerkannten Experten um Handlungsrichtlinien zu bitten. Dr. Martin Haupt ist Demenz-Spezialist und befaßt sich intensiv mit dem Zusammenspiel von Depression und Demenz.

DS: Herr Dr. Haupt, welche Bedeutung haben depressive Störungen bei Alzheimer-Kranken?

Dr. Haupt: Die Wissenschaft hat sich bislang vor allem mit den kognitiven Einbußen im Rahmen einer Alzheimer-Demenz befaßt und affektive Gesichtspunkte eher vernachlässigt. So kommt es, daß man auch in der Praxis depressiven Verstimmungen Dementer nicht immer in dem Maße Rechnung trägt, wie es ihrer Bedeutung für das gesamte Erscheinungsbild der Erkrankung entsprechen würde. Immerhin finden sich bei rund 40 Prozent aller Alzheimer-Patienten depressive Symptome. Diese sprechen oft gut auf therapeutische Maßnahmen an und erlauben dann eine Diagnose ex iuvantibus.

DS: Wie entstehen depressive Störungen bei Alzheimer-Kranken?

Dr. Haupt: In aller Regel sind sie die Folge eines komplexen Zusammenspiels organischer und nichtorganischer Faktoren. So findet man bei depressiven Alzheimer-Kranken im Vergleich zu nichtdepressiven vermehrt degenerative Veränderungen im Locus coeruleus, im dorsalen Raphekern und in der Substantia nigra. Einen weiteren Beitrag leistet vermutlich auch ein Mißverhältnis zwischen untergegangenen Neuronen im Locus coeruleus einerseits und relativ intakten Nervenzellen und Funktionen im cholinergen Ursprungsgebiet andererseits. Psychologisch kann jeder Gesunde sehr gut nachvollziehen, daß auch das Erleben von Hilflosigkeit, Sprachverlust, Mißverständnissen, Ärger von Bezugspersonen, Verlassenheit und Beschämung depressive Verstimmungszustände begünstigt.

DS: Durch welche Verlaufsbesonderheiten zeichnen sich Depressionen bei Alzheimer-Patienten aus?

Dr. Haupt: Ausgeprägte und länger anhaltende depressive Verstimmungen sind bei Alzheimer-Kranken eher selten. Dies gilt sowohl für die Major Depression, die in etwa 15 Prozent der Fälle vorliegt und meist rasch abklingt, als auch für die mitunter nur Minuten oder nur wenige Stunden anhaltenden Verstimmungszustände. Letztere lassen sich diagnostisch auch als „Anpassungsstörungen mit depressivem Erscheinungsbild“ beschreiben. Häufigkeit und Ausprägung depressiver Verstimmungen scheinen mit fortschreitendem Schweregrad der Demenz abzunehmen, was aber nicht unbestritten ist. Ich warne davor anzunehmen, daß Patienten mit einer fortgeschrittenen Demenz unfähig zu affektiven Reaktionen seien, wie immer wieder behauptet wird. Auch in sehr fortgeschrittenen Stadien empfinden Demente Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Ratlosigkeit. Darauf reagieren sie genau so „depressiv“ wie andere Menschen auch. Hinzuzufügen ist noch, daß das frühe Auftreten depressiver Verstimmungen bei Alzheimer-Kranken keinen Einfluß auf die im Krankheitsverlauf bestehende Progredienz ausübt.

Kurze, aber dennoch quälende Verläufe

DS: Worauf ist diagnostisch besonders zu achten?

Dr. Haupt:  Es ist wichtig,

·      depressive Störungen bei Demenz-Kranken überhaupt zu bemerken,

·      differentialdiagnostisch zwischen Demenz und Depression zu unterscheiden und

·      sekundär zur Demenz hinzutretende depressive Störungen zu erkennen.

Einige Symptome sind der Depression und der Demenz gemeinsam, wie etwa Antriebs-, Schlaf- und Appetitstörungen. Diagnostische Anhaltspunkte liefern dann die Kernsymptome der Depression, bei deren Vorliegen eine spezielle Behandlung angezeigt ist. Hinweise für eine Depression sind etwa eine affektive Erkrankung in der Vorgeschichte, ein relativ plötzlicher Beginn, ausgeprägte und anhaltende depressive Verstimmungen sowie die Aussage von Bezugspersonen, daß sie kognitive Störungen nicht im Vordergrund des Krankheitsbildes im Alltag sähen.

   Im Zusammenhang mit körperlichen Erkrankungen, die sekundär zur Demenz hinzutreten, sind vor allem die Schilddrüsenunterfunktion, die Hepatitis sowie Lungen- und Bauchspeicheldrüsenkarzinome zu nennen. Darüber hinaus können Digitalispräparate und einige Bluthochdruckmedikamente depressive Störungen auslösen. Auch bei Verhaltensproblemen verabreichte Beruhigungsmittel können fälschlicherweise den Eindruck vermitteln, der Alzheimerkranke sei depressiv verstimmt.

DS: Welche Maßnahmen haben sich bewährt, um depressive Verstimmungen bei Demenz-Patienten zu bessern?

Dr. Haupt: Vor allem gilt es, die Patienten und deren Familie zu unterstützen, um den Kranken möglichst lang im häuslichen Umfeld versorgen zu können. Dabei stehen psychotherapeutische Maßnahmen im Vordergrund, die den Kranken darin unterstützen, seine vorhandenen Fähigkeiten weiterhin wahrzunehmen, ihm Mut machen und das Gefühl vermitteln, weiterhin nützlich zu sein und gebraucht zu werden. Antidepressiva sind nur dann angezeigt, wenn die depressiven Störungen ausgeprägt sind und bereits mehrere Tage anhalten. Dann sind neuere Antidepressiva zu bevorzugen und darauf zu achten, daß diese nicht mit anderen Arzneimitteln der meist multimorbiden Kranken ungünstig interagieren.

DS: Dr. Haupt, vielen Dank für Ihre Hinweise.