von
Dipl.-Psych. Dr. med. Wilhelm Stuhlmann, Abteilungsarzt
Gerontopsychiatrie, Rheinische Landesklinik Köln
Patienten, die an
einer Alzheimer´schen Erkrankung oder einer vaskulären Demenz
leiden, haben eine deutlich verminderte Lebenserwartung. Das Sterben
dieser Kranken wird zunehmend in die Pflegeheime verlagert, in denen
ca. 60 Prozent der Demenz-Kranken ihre letzten Lebensmonate
verbringen. Die Pflegeeinrichtungen sind mit der Vielfalt der schweren
Probleme, die im Verlauf einer Demenz-Erkrankung auftreten können, häufig
überfordert und können sich nicht mehr in dem Maße mit den
sterbenden Kranken auseinandersetzen, wie es den Kranken angemessen wäre
und sie es selbst möchten.
Zu ähnlichen Folgerungen
gelangt eine britische Studie, die anhand von Behandlungsdokumenten
einer gerontopsychiatrischen Abteilung retrospektiv die Pflegequalität
bei 17 verstorbenen Demenz-Kranken überprüfte (Durchschnittsalter:
83 Jahre). Die meisten erlagen einer Bronchopneumonie, obwohl sie
antibiotisch behandelt worden waren. Nach Ansicht von Autorin M.
Lloyd-Williams trug man zwar Problemen wie Verstopfung und oraler
Candidiasis adäquat Rechnung; dagegen wurde vor allem Schmerz und
Fieber unzureichend Rechnung getragen. Insbesondere Opiate wurden zu
wenig verordnet. Obwohl 10 Patienten offenbar unter starken Schmerzen
litten (durch Frakturen, Druckgeschwüre, Arthrose,
Knochenmetastasen), sahen die Krankenblätter nur in zwei Fällen eine
regelmäßige Morpingabe vor. Hinweise zur Dosisanpassung im Falle
einer Schmerzzunahme fehlten ebenso wie Notizen zur optimalen Dosis.
Statt dessen fanden sich Bemerkungen wie „Möglichst kein Morphin,
da es die Atmung dämpfen kann“ und „Morphin nur, wenn wirklich
notwendig“. Obwohl die verstopfende Wirkung von Opiaten bekannt ist,
wurden Abführmittel nicht routinemäßig verschrieben.
Zwar litt fast die Hälfte
der Sterbenden unter Fieber. Dennoch wurde selbst bei hoher Körpertemperatur
nicht an ein Antipyretikum (wie Paracetamol) oder an kühlende Maßnahmen
(etwa in Form eines Ventilators) gedacht. Der Sinn der alternativ
betriebenen antibiotischen Therapie erscheint im Endstadium einer
Demenz eher fraglich.
Die Autorin folgert, daß
die Terminalpflege das Personal überfordere, weil es im Rahmen seiner
psychiatrischen Ausbildung nicht ausreichend über
palliativmedizinische Maßnahmen informiertworden war.
Qualitätssicherung
Vor diesem Hintergrund
sticht eine aktuelle amerikanische Publikation ins Auge. Sie spricht
sich dafür aus, die Betreuung sterbender Demenz-Kranker an
Hospiz-Konzepten zu orientieren. Folgende Kriterien gewährleisten
nach Ansicht von S. A. Wilson und Mitarbeitern die erforderliche
Qualität:
A. Indikatoren
für Wohlbefinden
1.
Alle Bewohner haben ihren eigenen individuellen und ständig
aktualisierten Plan, der Wohlbefinden gewährleistet.
2.
Alle Bewohner haben eine für sie hauptverantwortliche
Pflegehelferin.
3.
Unwohlsein wird notiert und mit geeigneten Maßnahmen oder
durch Überweisung an Fachleute behandelt.
4.
Die Reaktion der Bewohner auf alle Behandlungsmaßnahmen wird
bewertet.
B. Vorbeugung
iatrogen bedingter körperlicher Probleme
1.
Alle Bewohner werden wöchentlich überprüft und die
Ergebnisse dokumentiert.
2.
Für alle Bewohner gibt es einen Plan, um möglichen iatrogen
bedingten körperlichen Problemen abzuhelfen.
C. Aktivitäten
zur sinnlichen Stimulation und Beruhigung
1.
Für jeden Bewohner gibt es eine Aufstellung aktivierender Maßnahmen.
2.
Bei allen Bewohnern wird auf ein Gleichgewicht zwischen
sensorisch stimulierenden und sensorisch-beruhigenden Aktivitäten
geachtet.
3.
Umweltreize werden verringert.
D. Menschenwürde
1.
Alle Bewohner werden respektvoll mit einem Namen ihrer Wahl
oder der Wahl der Familie angesprochen.
2.
Alle Bewohner sind sauber und frei von unangenehmen Gerüchen.
3.
Alle Bewohner erhalten Wahlmöglichkeiten, soweit sie diese
noch ausüben können.
4.
Alle Bewohner werden in positiver Weise angesprochen.
5.
Allen Bewohnern wird ihre Privatsphäre garantiert
(insbesondere beim Baden, An- und Ausziehen, Toilettengang)
6.
Alle Bewohner werden täglich mindestens einmal zu einer
sinnlich stimulierenden und zugleich interaktiven Tätigkeit
eingeladen.
E. Psychosoziale/erzieherische
Unterstützung der Familie
1.
Alle Familien beurteilen einmal jährlich schriftlich ihrer
Zufriedenheit mit der Betreuung.
2.
Mit Zustimmung der rechtlichen Betreuer hängt im Raum eines
jeden Bewohners eine gerahmte Kurzbiografie.
3.
Familien erhalten auf einem Mitteilungsbrett laufend aktuelle
Informationen über Veranstaltungen von Selbsthilfegruppen, andere
Aktivitäten und Aufklärungsmaterial über Demenz.
4.
Zweimal jährlich gibt es einen Familienabend zur Förderung
von Freundschaft, Spaß, Anleitung und Unterstützung.
F. Psychosoziale/erzieherische
Unterstützung des Pflegeteams
1.
Pflegehelferinnen werden maximal vier Bewohnern zugeteilt.
2.
Pflegehelferinnen arbeiten zumindest einen Teil des Tages
zusammen mit einer Kollegin.
3.
Pflegehelferinnen werden zu Beginn ihres Einsatzes und halbjährlich
besonders geschult.
4.
Pflegehelferinnen und Krankenschwestern besprechen für jeden
Bewohner dessen Tagesbeurteilung und Tagesplan.
5.
Viermal jährlich wird der Einsatz des Pflegeteams extern gewürdigt.
6.
Eine mindestens 95prozentige Personalbesetzung ist ständig
gewährleistet.
Wie die in den USA
gesammelten Erfahrungen zeigen, muß die würdevolle und für alle
Beteiligten befriedigende Betreuung sterbender Demenz-Kranker keine
Utopie sein.
Literatur:
M. Lloyd-Williams: An audit of palliative care in dementia. Eur. J.
Cancer Care 1995 (5) 53-55; S. A. Wilson et al.: Hospice concepts in
the care for end-stage dementia. Geriatric Nursing 1996 (17) 6-10