Chicago/USA.
Unter visuellen Halluzinationen leidet mitunter jeder dritte
Demenz-Kranke, der stationär gerontopsychiatrisch betreut wird.
Klassische optische Eingriffe und Hilfsmittel (Kataraktoperationen,
spezielle Brillen, optimalere Beleuchtung) bessern diese manchmal
eindrucksvoll. L. Pankow und Mitarbeiter beschreiben drei eindrucksvolle
Schicksale.
Von Amputierten ist
bekannt, daß einige eine entfernte Körpergliedmaße weiterhin so
erleben, als sei sie noch real vorhanden („Phantomschmerz“). Ähnlich
halluzinieren auch manche Augenkranke und Erblindete visuell
(„Phantomvision“). In beiden Fällen zeichnen neurologische (also
organische) Phänomene dafür verantwortlich. Da Demenz-Kranke aufgrund
des meist höheren Alters häufig unter Augenproblemen leiden, sollte man
eventuelle visuelle Halluzinationen nicht vorschnell als
„Demenz-Symptom“ einstufen. Die Wahrscheinlichkeit einer organischen
Mitverursachung ist groß und damit auch die Aussicht, erfolgreich
intervenieren zu können. „Visuell halluzinierende“ Demenz-Kranke
sollten daher routinemäßig augenärztlich untersucht werden.
Dies verdeutlichen die von
Pankow und Mitarbeitern mitgeteilten Krankheitsverläufe, von denen einer
hier beispielhaft skizziert sei. Es handelt sich um eine 80 Jahre alte
Frau mit vaskulärer Demenz, die seit Jahren visuell halluzinierte, sie
sei von Kindern und Hunden umgeben. Ihre Familie berichtete, daß die ältere
Dame im Haus umherwanderte und dabei alle möglichen Dinge in einem Beutel
hortete. Gleichzeitig erzürnte sie sich über die in ihrer Vorstellung
vorhandenen Kinder und versuchte sie, nicht vorhandene Gäste zu bewirten.
Der Tochter fiel auf, daß die Mutter dazu neigte, in Gegenstände
hineinzulaufen und an Dingen rechts vorbeizugreifen. Die zuletzt genannten
Verhaltensweisen legten die Vermutung nahe, daß die Patientin an einer
linksseitigen Hemianopsie litt. Da die Patientin aufgrund ihrer
intellektuellen Einbußen nicht mehr an einer Gesichtsfeldüberprüfung
mitwirken konnte, blieb der Verdacht unbestätigt.
Die Ausstattung ihrer Brille mit
einem Fresnel-Prisma besserte die visuellen Halluzinationen eindrucksvoll:
Während diese vor der optischen Intervention stündlich auftraten, waren
sie anschließend durchschnittlich nur noch einmal pro Tag zu
registrieren. Es gelang der Patientin wieder, einige Stunden am Stück zu
sitzen und zu lesen. Sie erregte sich nicht mehr über die halluzinierten
Kinder und unterließ die ständigen Hinweise, „daß sie die Gäste
unterhalten müsse“. Als das Prisma in der achten Woche von der Brille
fiel und verloren ging, erregte sich die Patientin erneut. Ihr Zustand
besserte sich wiederum, als ihre Brille dauerhaft ein neues Prismensystem
erhielt.
Erläuterung: Das auf dem linken
Augenglas angebrachte Prisma rückte optisch Dinge aus dem linken
Gesichtsfeld in die Mittellinie. Es erweiterte somit das Gesichtsfeld der
Patientin und erleichterte es ihr, die Welt wieder realistischer
wahrzunehmen.
L.
Pankow, N. Pliskin, D. Luchins: An optical intervention for visual
hallucinations associated with visual impairment and dementia in elderly
patients. The Journal of Neuropsychiatry and Clinical Neurosciences 1996
(8), 88-92
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